Connected Commerce im Praxistest
Wir verraten was hinter dem einzigartigen Seminar „C3“ steckt und wie es dazu beiträgt die Potenziale einer Connected City aufzudecken.
Als es an der Tür klingelt, sitze ich in meiner Wohnung, die Kaffeemaschine läuft zum dritten Mal durch und meine Frau ist mit unserem Kind auf dem Weg zum Kindergarten. Ich öffne unsere Tür und hinein kommen knapp 30 Studenten verschiedenster Masterstudiengänge der Universität Bremen. Die Schuhe haben sie allesamt vorher brav ausgezogen. „Wir sind Halb-Schweden“, hatte mich meine Frau am Vorabend noch instruiert. „Bei uns zieht man sich die Schuhe aus.“ Schön, dass sich alle daran halten.
Warum ich es mir während meiner Arbeitszeit mit einem Haufen Studenten in meinem Wohnzimmer in Bremen gemütlich mache? Für die von hmmh zusammen mit der Universität Bremen konzipierte Lehrveranstaltung "C3" (Connected Commerce Camp) bin ich für die nächsten Stunden Referent und Anschauungsobjekt zugleich. Ich bin beratender Experte, aber zu diesem Zeitpunkt völlig ahnungslos, was mich erwartet. Dennoch freue ich mich sehr auf dieses einzigartige Seminar. Dass die Studenten bei mir zu Hause und nicht in unserem Büro am Wesertower sitzen, zeigt bereits: C3 ist keine klassische Lehrveranstaltung. Es ist eine User Journey, ein zweitägiger, praktischer Erfahrungsaustausch zwischen hmmh und insgesamt etwa 60 Teilnehmern zum Thema "Potenziale des Connected Commerce in der Stadt Bremen". Unser Ziel: Die Studenten sollen den aktuellen Status Quo von Connected Commerce, im Speziellen des Connected Retail und der "Connected City Bremen" am eigenen Leib spüren und testen. Im Anschluss sollen sie dann mit unserer Unterstützung für aufkommende Probleme eigene Lösungsansätze erarbeiten.
Am ersten Tag wurden die Studenten deshalb, mit Smartphones und -watches ausgerüstet und auf eine Art Rallye in die Innenstadt geschickt, wo die "Connected City Bremen" auf Herz und Nieren geprüft wurde – das heißt online bestellte Pakete wurden in Filialen zurückgebracht oder erstmal abgeholt, das innerstädtische W-Lan getestet oder auch Coffee-to-go mobil bezahlt. Am zweiten Tag kamen alle wieder zusammen, um ihre Erfahrungen in verschiedenen Sessions zu diskutieren. Daraus entstanden Projektideen, die die Studenten nun in Gruppen weiter ausarbeiten. Für uns haben sich die zwei Tage aber schon jetzt gelohnt – nicht nur wegen des engen Austausches mit den Studenten, sondern auch wegen der Ergebnisse und Erkenntnisse, die der "Praxistest" ans Licht brachte.
Ernüchterndes Erlebnis
Die Bremer Innenstadt hat mit starker Konkurrenz im Umland zu kämpfen. Der Kunde findet nicht nur riesige Einkaufszentren in jede Himmelsrichtung, sondern mit Hamburg und Oldenburg auch weitere attraktive Shopping-Möglichkeiten in näherer Umgebung. Aus diesem Grund müsste Bremen eigentlich längst gewappnet sein, um in diesem Umfeld bestehen zu können. Das Ergebnis war allerdings ernüchternd: Connected Commerce ist noch (immer) nicht im Alltag angekommen. Das liegt zum einen an den unausgereiften digitalen Lösungen (z. B. kaum nutzbares W-Lan), die den Kunden angeboten werden. Zum anderen aber auch daran, dass die wahren Bedürfnisse der Konsumenten nicht bedacht oder berücksichtigt werden.
So konnten die Studenten zwar ein online bestelltes Paket bei einem großen Schuhhändler in der Filiale zurückgeben, jedoch nicht mit dem gutgeschriebenen Betrag direkt neue Schuhe auswählen. Zitat der Verkäuferin: "Online-Shop und Filiale sind zwei verschiedene Paar Schuhe!" (Übrigens mein persönliches Lieblingszitat des gesamten Events.) Da war eine amerikanische Café-Kette schon weiter. Die Mitarbeiter waren geschult und vor allem auch geduldig genug, um beim Mobile Payment zu unterstützen. Doch fehlte den Studenten bei dieser Art zu bezahlen der direkte Mehrwert. Mit Bargeld oder Karte hätte man teils schneller bezahlen können und wäre auch nicht abhängig vom Akkustand oder Empfang. Zudem müsse regelmäßig aktiv Guthaben auf die App transferiert werden, was den gesamten Prozess wieder künstlich verkomplizieren würde.
Mehr Frust als Mehrwert
Die vielen technischen Lösungen sind derzeit oftmals nicht bis zum Schluss durchdacht und frustrieren somit eher, als dass sie wirklich einen Mehrwert liefern. Anstatt die Kunden mit einem kanalübergreifenden Einkaufserlebnis und ganzheitlichem Service an das Unternehmen zu binden, werden sie teilweise so dermaßen enttäuscht, dass sie den Service nicht ein weiteres Mal ausprobieren möchten. Das bedeutet: Fehlerhafte und nicht durchdachte Ansätze erhalten vom Kunden keine zweite Chance. Unternehmen, die vermeintliche Ideen des Connected Commerce nur oberflächlich umsetzen, verlieren am Ende sogar mehr Kunden als sie gewinnen.
Dies heißt natürlich nicht, dass Unternehmen nicht mutig agieren und neue Technologien für ihre Zwecke ausprobieren sollen. Doch hat das Camp gezeigt, dass diese Lösungen individuell für das Unternehmen sowie den Kundenbedürfnissen entsprechend entwickelt werden müssen, damit am Ende ein Produkt entsteht, das überzeugt und nicht enttäuscht. Um das zu erreichen, ist ein prototypisches Vorgehen mit einer ausgewählten begrenzten Nutzergruppe im Vorfeld existentiell.
Die zwei Tage mit den Studenten haben uns verdeutlicht, wie Connected Commerce in Bremen funktioniert – oder eben nicht. Ähnlich wie beim Small-Data-Ansatz von Martin Lindstrom konnten über die Beobachtung einer kleinen Kundengruppe große Erkenntnisse errungen werden. Es hat also nachweislich einen Mehrwert, potentielle Kunden einmal zu sich ins eigene Wohnzimmer einzuladen und zu beobachten. So lange sie aber bitte auch die Schuhe ausziehen.
Hier geht's zum Video des C3 Barcamps.
Der Artikel wurde in der LEAD digital veröffentlicht.