Der goldene Meter
Der deutsche Einzelhandel ist noch lange nicht so tot wie geglaubt – die Filialen sind bevölkert und umgeben von kaufbereiten, wissenshungrigen Kunden auf der Suche nach relevanten Angeboten. Zudem sind die meisten (fast 70%) von ihnen so hilfsbereit und bringen Hightech-Hardware im Wert einiger hundert oder sogar tausender Euros gleich mit: Smartphones, Tablets oder Tabphones. Einziges Problem: wir als App-Anbieter, Filialisten oder Netzwerke konnten dieser durchaus netten Geste nicht wirklich entgegnen, geschweige denn gewinnbringend nutzen. QR-Code, NFC oder GPS waren zaghafte Versuche dem potenziellen Kunden am POS das Smartphone seiner Tasche zu entlocken, um ihn mit Marke, Produkt oder Unternehmen interagieren zu lassen. Diese Ansätze waren entweder zu umständlich (QR Code [löbliche Ausnahme: Heinemann QR-Code-Shopping am Frankfurter Flughafen]), zu wenig verbreitet (NFC) oder zu ungenau (GPS).
Die Zeit, die der Kunde im echten Leben tütenbepackt beim Vorbei-Huschen an Schaufenstern und Regalen für Markenkommunikation, Angebotssuche oder Technologie-Hürden übrig hat, dürfte die zwei-Sekunden-Hürde kaum überspringen.
Wenn der Kunde überhaupt bereit ist diese Kommunikation zuzulassen oder sogar Interaktion aufzunehmen, dann nur, wenn die Informationen zeitlich und geografisch präzise, inhaltlich von höchster Relevanz und gleichzeitig prägnant und kontextbezogen für ihn sind. Sprich, sich in die täglichen Lebensabläufe nahtlos integriert und wie ein guter Freund Vorlieben und Bedürfnisse kennt und im Zweifel zur Stelle ist.
»Marke, bitte nicht stören, außer du bist mein Freund.«
Hintergrund
Dafür bedarf es neuer technologischer und konzeptioneller Ansätze. Grundlage dafür bildet die sog. »Beacon« Technologie, (von Apple kurzerhand »iBeacon« getauft): Eine vergleichsweise simple Technik, die an beliebigen Orten positioniert ein eindeutiges Signal an andere Geräte (sinnvollerweise Smartphones der Kunden) in der näheren Umgebung senden kann. Der Beacon selber ist in der Regel »dumm« und hat weder Verbindung zu Backend-Systemen noch sendet über seine eindeutige Nummer hinausgehende Informationen an das Smartphone des Nutzers. Die Intelligenz liegt in der App des Filialistens, der Marke oder Service-Anbieters diese Daten sinnvoll zu nutzen und in Mehrwerte umzuwandeln (z.B. Aussendung von Push-Nachrichten oder eine automatische Gutschrift von Punkten eines Loyality-Programms).
Dabei spielt zumindest Apple den App-Anbietern kräftig in die Karten: die für die Technik notwendigen Voraussetzungen sind so fest mit dem Betriebssystem verwoben, das nicht nur bei geschlossener App sondern selbst bei augeschaltetem Gerät, Beacons noch erkannt werden und entsprechende Nachrichten ausgespielt werden. Auch ist auf zauberhafte Weise nach jedem Update die Bluetooth-Funktion eingeschaltet, obwohl man sicher war sie doch abgeschaltet zu haben.
Basieren tut das System auf dem Bluetooth Low Energy Standard (BLE) einer besonders energiesparenden Variante, die schon seit dem iPhone 4s bzw. Android 4.3 zum Einsatz kommt und damit kostbare Akku-Ressourcen des Anwenders schont. Die Sender kommen meist in Form bunter, etwa seifengroßer Gehäuse daher, brauchen weder einen Netzwerk- noch Stromanschluss und können innerhalb von Sekunden an Decken, Regale oder Aufsteller geklebt werden. Die von hmmh entwickelten Beacons haben eine programmatisch einstellbare Reichweite zwischen 30 Zentimetern und etwa 100 Metern.
Transparenz
Bevor wir Anbieter einen großen Schluck aus dem Napf der süßen Kundeninformationen nehmen dürfen, steht das sog. »Onboarding«. Die Möglichkeit Beacon-Informationen via App auslesen zu dürfen, bedarf nämlich wie alle Standortdienste der vorherigen Zustimmung des Nutzers. Diese einmalige Chance darf unter keinen Umständen verspielt werden und bedarf einer wohl-überlegten Vorteils-Kommunikation – möglichst zeitlich und örtlich unmittelbar, um ein sofortiges »Aha-Erlebnis« auszulösen.
Aber wie ein guter Freund, muss auch ein iBeacon bzw. die Speichermaschinerie dahinter vergessen können oder besser: nur das Speichern, was unbedingt notwendig ist. Ebenso erwartet der europäische Datenschutz eine einfache Möglichkeit zum Opt-Out am besten direkt aus der App heraus.
Fazit
Mit Beacons bekommt der Einzelhandel nun durch vergleichsweise wirtschaftliche aber intelligente Technologien endlich die Chance, zum freundschaftlichen Begleiter zu werden, Kunden mit relevanten, sinnvollen Informationen und Aktionen zu erreichen und damit On- und Offline wie nie zuvor zu verzahnen.