hmmh im Gespräch mit MÖBELMARKT über die Zukunft des Möbelhandels
Auf Connected Commerce spezialisiert, unterstützen wir Unternehmen bei der digitalen Transformation und entwerfen vernetzte Lösungen für nahtlose, auf den Kunden abgestimmte Nutzererlebnisse entlang aller Touchpoints. Dabei begleiten wir seit vielen Jahren auch namhafte Möbelhersteller sowie -Händler und stellen unsere Möbelexpertise immer wieder unter Beweis.
Im Interview mit MÖBELMARKT-Redakteur Sebastian Lehmann, sprechen (v.l.n.r.) Philipp Kruse, Unit Director Product Data Solutions, Sven Holldorf, Unit Director Consulting, und Managing Director, Marcus Person, über die erfolgreiche Zukunft des Möbelhandels.
MM: Die aktuelle Situation im stationären Einzelhandel ist das Thema dieser Tage. Die Innenstädte kämpfen mit Leerstand und die Covid-19-Pandemie scheint diese Entwicklung noch zu beschleunigen. Ist der Online-Handel der große Gewinner dieser Krise?
Marcus Person: Es ist richtig zu sagen, dass Covid-19 ein irsinniger Beschleuniger dieser Entwicklung ist. Es ist aber wichtig zu verstehen, dass keines der aktuellen Probleme nicht auch schon vorher bestand. Was heute durch die Krise hilft, wird auch darüber hinaus Bestand haben. Der Online-Umsatz aller Händler hat sich zwischen 2009 und 2020 von 20 auf 59 Mrd. Euro fast verdreifacht, aber auch der stationäre Umsatz ist in dieser Zeit von 407 auf 485 Mrd. Euro gestiegen. Dass die Innenstädte und große Möbelhäuser am Stadtrand nicht von diesem Trend profitieren, liegt häufig an veralteten Konzepten und Einkaufserlebnissen, die nicht zielgruppengerecht sind.
MM: Was bedeutet das denn konkret für die Möbelbranche?
Person: Wir sehen heute das meiste Wachstum in Unternehmen, die sowohl stationär als auch online erreichbar sind. Insbesondere in diesem Jahr zeigt sich, wie wichtig die Vernetzung von digitalen und stationären Angeboten ist. Auch wenn der Weg in die Filiale einmal nicht möglich ist, schätzt der Kunde die Beratung vom Fachpersonal und die Inspiration auf der Verkaufsfläche. Die meisten Online-Shops in der Möbelbranche taugen aber nicht zur Beratung und erst recht nicht zur Inspiration. Hier sollte noch viel mehr die langjährige Erfahrung aus dem klassischen Handel genutzt werden, um die digitalen Angebote zu verbessern.
Sven Holldorf: Das Thema Einrichten, Wohnen, Zuhause wohlfühlen gewinnt gerade in der jetzigen Zeit an Bedeutung. Daher ist es richtig, dass sich Händler und Hersteller in das Zentrum der Stadt bewegen und weg von der Peripherie wollen. Allerdings sollten die alten, auf der grünen Wiese geplanten und umgesetzten Konzepte nicht bloß adaptiert werden und riesige Möbelhäuser in der Innenstadt entstehen.
MM: Was schlagen Sie vor?
Philipp Kruse: Beratung und Inspiration sind die Stichwörter. Kleinere, liebevoll gestaltete Stores können die Innenstädte beleben. Und genau da- rum geht es: Das Produkt muss mehr in den Fokus gestellt werden. Das Er- leben und Erfühlen des neuen Tisches, des neuen Sofas, des neuen Betts kann online nie zu 100% ersetzt wer- den. Auf das Produkt zugeschnittene kleine Stores können hier die Lösung sein. Natürlich spricht das Hersteller und Händler keineswegs davon frei, in die erstklassige digitale Inszenierung ihrer Produkte zu investieren. Und hier sind wir noch meilenweit von den eben genannten 100% entfernt. Wir sprechen hier von „Produktstolz“. Der muss online wie offline rüberkommen.
Person: Den direkten Kontakt zu Kunden und Kundinnen zu halten, wird auch für Hersteller von Möbeln immer wichtiger werden. Es zeigt sich schon heute am geänderten Kaufverhalten, dass Kunden mehr Information zum Produkt und deren Herstellung suchen. Es geht dabei deutlich über den Nutzen des Produktes hinaus. Auch Fragen zu Nachhaltigkeit, Unternehmenswerten und Herstellungsmethoden müssen beantwortet werden. Wer kann das besser als der Hersteller selbst? Vernetzte und ergänzende Angebote online sowie in der Filiale ermöglichen es, frühzeitig in den Dialog mit Käufern und Käuferinnen einzusteigen und den entscheidenden Impuls zum Kauf zu geben.
MM: Hochwertig inszenierte Produktpräsentationen, emotionale Kundenansprache, intensive Beratung sind lang gehegte Wünsche. Das alles kostet viel Geld. Wie kann die Möbelbranche hier sinnvoll investieren?
Kruse: Gerade in der hochwertigen Aufbereitung von Produktinformationen sehen wir eine große Chance. Hier lassen sich die Prozesse zwischen Herstellern und Händlern weiter optimierten und mehr und mehr Schritte automatisiert abbilden. Insbesondere das Erstellen von aussagekräftigen Produktbeschreibungen lässt sich automatisieren. Das ist besonders für große und breite Sortimente interessant. Das eröffnet echtes Einsparungspotenzial und ermöglicht bisher ungenutzte Skalierungsschritte.
Person: Andere Branchen nutzen bereits deutlich mehr Möglichkeiten der verfügbaren digitalen Werkzeuge. So investiert beispielsweise die Automobilindustrie schon lange nicht mehr in aufwendig inszenierte Fotostrecken, sondern denkt die digitale Aufbereitung der Modelle konsequent in der Produktentwicklung mit. Denn hochwertige Produktdarstellungen lassen sich ganz einfach aus digitalen Daten erzeugen. So könnte auch der Möbelhandel mit all seinen variantenreichen Produkten und der Darstellung im virtuellen Raum oder via Konfiguratoren massiv davon profitieren.
Holldorf: Und das gilt nicht nur für den Onlinehandel. Bei meinem letzten Kauf eines Bettes blätterte der Verkäufer in drei verschiedenen Ordnern, um die verschiedenen Konfigurationsmöglichkeiten zu überprüfen. Liegen diese Daten digital vor, kann der Verkäufer in wenigen Klicks auf einem Tablet meine Wunschkonfiguration erstellen und im Idealfall auch direkt vor Ort den Kaufabschluss vorbereiten.
MM: Wie konkret können denn vernetzte Angebote im Möbelhandel aussehen?
Person: Wir brauchen gar nicht in die Glaskugel zu schauen, um die Konzepte der Zukunft zu sehen. Viele davon finden sich schon vereinzelt in der Realität und helfen gerade in diesem Jahr Händlern durch die Krise.
Live-Shopping zum Beispiel: Die Verkäufer im Store werden so persönlich in die Beratung der Online-Kunden ein- gebunden. Per Video-Chat beraten sie Kunden live, zeigen Produkte und er- zeugen so Nähe zum Händler und vor allem zum Produkt, dass so individuell erlebbar wird.
Kruse: Ein weiteres aber ganz einfaches Beispiel sind ergänzende Informationen für Verkäufer und Verkäuferinnen auf der Fläche und im Webshop. Das wachsende Bedürfnis nach Individualisierung und Information der Kundinnen und Kunden zum Thema Nachhaltigkeit in der Produktion, Anwendung und Reinigung kann nur dann erfüllt werden, wenn das Fachpersonal gut informiert ist. Konfiguratoren und exklusive Hintergrunddaten helfen enorm den Bezug zu Marke und dem Produkt herzustellen. Auch das zählt für mich zu „Produktstolz“.
MM: Was braucht die Möbelbranche aus Ihrer Sicht, um das Geschäft zukunftssicher aufzustellen?
Person: Das allerwichtigste ist die momentane Wandelbarkeit in der Möbelbranche zu halten. Covid-19 ist zwar der Treiber eines Wandels in rasanter Geschwindigkeit, es wird aber auch danach keinen neuen Status quo geben. Das „New Normal“ wird der kontinuierliche Wandel sein. Denn Digitalisierung ist kein Projekt, es ist ein Prozess. Trotzdem müssen wir jetzt Ruhe bewahren. Es geht um nachhaltige Entwicklungen. Wichtig ist, vor allem die bestehenden Prozesse, die Kultur und die Strukturen gut zu kennen, um diese mit digitalen Inhalten zu ergänzen. Auch Mitarbeiter*innen, Kund*innen und Partner müssen einbezogen werden.
Holldorf: Das Verständnis der verschiedenen Stakeholder bildet ei- ne wirklich wichtige Basis. Erst dann ist die Wahl der richtigen Technologie möglich, um die entsprechenden Produktinformationen zum passenden Zeitpunkt und im idealen Format zur Verfügung zu stellen. Die Basis hier- für bildet eine unternehmensindividuelle Vertriebsstrategie, die Kunden und Kundinnen ins Zentrum stellt und entsprechende Ableitungen für Daten- und Technologieentscheidungen treffen lässt. Und dann heißt es mit kleinen Piloten starten, diese verbessern und entsprechend der aktuellen Entwicklungen stetig anpassen.
MM: Eine persönliche Frage zum Abschluss: Planen Sie aktuell den Kauf von Möbeln und wenn ja, kaufen Sie online oder im stationären Geschäft?
Person: Ich habe gerade im Showroom eines Kunden ein Sofa entdeckt und werde bestimmt demnächst mit meiner Familie noch einmal dorthin fahren, um mich beraten lassen. Das Sofa ist in unserer Familie mehr als ein Sitzmöbel: Probesitzen, anfassen und ausprobieren muss deshalb unbedingt sein. Ob wir dann online bestellen oder direkt im Store kaufen, weiß ich noch nicht. Je nach Auswahl vor Ort, wer- den wir vielleicht noch weitere Varianten online konfigurieren.
Kruse: Ich bin gerade auf der Suche nach einem neuen Esstisch für unsere Familie. Es fühlt sich an wie beim Parfümkauf ... spätestens nach dem dritten Duft nimmt man keinen Unterschied mehr wahr und ist eigentlich überfordert. Ich habe Produktübersichtsseiten mit über 250 Tischen vor mir. Produktdetailseiten, die nur eine Ansicht zeigen und grob die Funktion des Tisches beschreiben. Das hilft mir nicht bei der Kaufentscheidung. Um bei dem Beispiel zu bleiben, dass das Parfüm riecht, weiß ich selbst. Aber was macht den Unterschied zu einem anderen aus? Daran verzweifle ich beim Onlinekauf manchmal.
Holldorf: Die Suche nach neuen Produkten beginnt bei mir fast immer online. Inspirationen von Portalen wie Pinterest helfen dabei ungemein. Wenn der Bedarf dann konkret wird, geht die Recherche online soweit, dass ich mich letztlich nur noch von der Qualität und insbesondere bei Schlaf- und Sitzmöbeln vom Komfort überzeugen muss. Das passiert dann meistens off- line und da fällt dann auch die finale Kaufentscheidung. Ich stelle allerdings auch eine neuerliche Veränderung bei mir fest: seit Beginn des zweiten Lockdowns fällt mir eine Entscheidung rein online immer leichter – insbesondere für Hersteller, mit denen ich eine hohe Produktqualität verbinde.
MM: Herr Person, Herr Kruse, Herr Holldorf, vielen Dank für dieses Gespräch.
Auch wir bedanken uns herzlich für die spannenden Fragen, Herr Lehmann.
Dieses Interview wurde in der Printausgabe 12/2020 von MÖBELMARKT veröffentlicht.