Vier Erfolgsfaktoren für agile Agenturen
Wer nicht nur eine schicke Fassade haben will, sondern echte Veränderung, muss an den Prozessen schrauben. Im derzeit stattfindenden digitalen Wandel haben sich neue Methoden und Prozesse entwickelt, etablierte Vorgehensweisen wurden ersetzt oder nachhaltig beeinflusst. Nach dem Paradigmenwechsel von “statischen Entwicklungsprozessen” hin zu agilen Entwicklungsmethoden wurden Ideen aus der agilen Softwareentwicklung auch in anderen Bereichen zu relevanten Themen. Agile, Lean, Design Thinking und Scrum sind ein paar der Methoden bzw. Frameworks, die sich in den vergangenen Jahren nicht nur in der Softwareentwicklung etabliert haben. Sie haben auch das Arbeiten in einer Digitalagentur verändert – und bedeuten mehr als nur die Umgestaltung von Agentur-Räumen.
Rollen, Titel und Prozesse sind im Wandel. Neben den neuen technischen Anforderungen ist dies auch eine Konsequenz aus den Inhalten und Medien, mit der sich die dort arbeitenden Kreativen beschäftigen. Die daraus resultierenden Effekte sind weitreichend und fordern von vielen Beteiligten eine neue Arbeits- und Sichtweise. Klar ist: Mit alten Strategien lässt sich der “Digitalisierung der Welt” nicht begegnen.
Digitale Kanäle, Plattformen sowie die digitalen Nutzungskonzepte und Medien entwickeln sich stetig in ihren Möglichkeiten und in ihrem Umfang. Von der Bereitstellung komplexer Systeme für die mobile Nutzung bis hin zur Schnelllebigkeit digitaler Kommunikation sind viele Felder entstanden, die mit gewohnten Strategien schwer oder unmöglich zu bewältigen sind.
Warum alte Methoden nicht mehr ziehen
Hochaktuelles und kommunikatives Marketing über soziale Medien lässt keine langen Entscheidungsrunden zu, da sonst das Thema seine Tagesaktualität schon wieder verloren hat. Responsive Design wird nur unzureichend in Authoring Tools ermöglicht, und stellt in diesen oft nur eine unzureichende Simulation dar. Neue Themen wie iBeacons oder Smartwatches lassen sich schlecht explorativ erkunden, wenn dies in konzeptgetriebenen Wasserfallprozessen geschieht. Unsere digitale Welt hat sich im vergangenen Jahrzehnt stark entwickelt, die Standards sind hoch, die Erwartungshaltungen sind gewachsen – eine Lieferung unterhalb des Standards ist undenkbar. Es muss vielmehr der Status Quo übertroffen und weitergetrieben werden. Es geht um den Unterschied, um das Mehr – um das bessere Verständnis für Kunde, User, Produkt und Ziel.
Solche sich schneller anpassende Anforderungen brauchen anpassungsfähige Prozesse und Strukturen. Zudem benötigen sie die Beteiligung und Zusammenarbeit entsprechender Experten. Hohe Spezialisierung, erfolgreiche Mitbewerberschaft, komplexe Kommunikation oder Interaktion sind auf kontinuierliche Verbesserung angewiesen, bis die bestmögliche Lösung gefunden ist. Für all diese Herausforderungen gibt es Tools aus agilen Arbeitsweisen, die es ermöglichen, diesen Aufgaben zu begegnen.
Neben theoretischen Grundsätzen wie dem agilen Manifest gibt es auch handfestes Werkzeug wie etwa aus dem Scrum Framework. Eine Mischung oder Integration aus Methoden der Kreativ- und Entwicklungsprozesse drängt sich hierbei geradezu auf.
Was bei der Programmierung funktioniert, erleichtert auch kreative Prozesse
Bei hmmh gehen wir seit geraumer Zeit den Weg der agilen und interdisziplinären Arbeitsweise. Die ersten Bestrebungen, an jetzt aktuelle Methoden anzuknüpfen, gab es bereits 2005, damals noch ausschließlich im Bereich der Entwicklung und unter dem Sammelbegriff “XP oder Extreme Programming”. Es sollte weitere fünf Jahre dauern, bis es erste feste Scrum-Teams innerhalb der Entwicklung gab. Damit war ein agiler Bereich in der Agentur geschaffen, der für den Bereich der Programmierung zeitgemäße Methoden etablierte.
Zehn Jahre später werden Kernaspekte dieser Methoden auch in nichtentwicklungszentrischen Projekten genutzt. So finden sich aus der Softwareentwicklung bekannte agile Werte und Methoden auch im Kreations- und Designprozess. Wir haben so neue Prozesse etabliert, die es uns ermöglichen, sowohl besser auf technologische Entwicklungen als auch auf die gewachsenen Anforderungen und Möglichkeiten aus Multichannel und Digital Commerce zu reagieren. Da jede Marke, jedes Projekt, jede Kampagne andere Anforderungen stellt, wird auch die Mischung der im Entstehungsprozess beteiligten Methoden von uns von Projekt zu Projekt auf die Anforderungen hin zusammengesetzt.
Bei aller Individualität gibt es jedoch auch einige Konstanten, die wir als wertvolle Faktoren für unseren Erfolg betrachten:
1. Der Kunde als Team-Mitglied
Als erstes ist dabei die frühe und stetige Einbindung wichtiger Stakeholder wie etwa der Auftraggeber und weiterer Experten in die Projekte zu nennen – angefangen durch eine stetig hohe Transparenz über die komplette Projektzeitdauer, über intensive Workshops bis hin zur Einbettung in wiederkehrende projektbegleitende Termine oder gleich über ganze Phasen in das Projektteam. Gerade letzterer Punkt führt immer wieder zu äußerst erfolgreichen Projekten und setzt neue Maßstäbe in agiler Frontendentwicklung.
2. Interdisziplinäre Teams
Die Projektteams sind ein weiterer, wenn nicht gar der wichtigste Faktor. Die Teams arbeiten bei uns in der Regel nicht mehr in Fachbereichen getrennt voneinander, sondern bestehen aus interdisziplinären Teams, die im Sinne des Projekts und des Kundeninteresses agieren. Vorbei die Zeiten von “not my department”. Auf diese Weise können wir einen besseren Austausch der verschiedenen Bereiche wie z.B. Konzept, Design und Entwicklung gewährleisten. Für eine bessere Zusammenarbeit an den Schnittmengen zwischen diesen Fachbereichen setzen wir auf eine interdisziplinäre sowie fachliche Weiterbildung und “T-Shaped-Modell”-Mitarbeiter, die nicht nur auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert sind, sondern auch über Wissen in angrenzenden Bereichen verfügen. Dies ermöglicht es uns, unsere Mitarbeiter in den verschiedenen Projektphasen bestmöglich einzusetzen. So kann etwa ein Designer mit Erfahrungen in Konzeption und Entwicklung schon in frühen Phasen mitarbeiten, in mittleren Phasen eine Hauptrolle übernehmen und auch in späteren Phasen das Projekt aktiv weiter begleiten und somit positiv beeinflussen.
3. Design, Play, Test, Repeat
Ein weiterer Punkt ist das iterative, also schrittweise Arbeiten an inkrementellen Zwischenständen hin zu einer End- oder mehrerer Zwischenversionen. Dieser zyklische Entwicklungsprozess, der auf kontinuierliche Verbesserung ausgelegt ist, bringt zahlreiche Vorteile wie bessere Transparenz während der Umsetzung, bessere Reaktionsmöglichkeiten auf sich ändernde Anforderungen, zielorientiertes Testen während der Umsetzung oder auch das Ermöglichen einer kürzeren “Time-To-Market” mit sich.
4. Das passende Werkzeug
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist ein Set an Tools, das über weite Phasen des Projekts Relevanz und Wirkung hat. Zu nennen sind hier z.B. Personas, User Stories aber auch Design-Guidelines, die nicht nur in einzelnen Phasen genutzt werden, sondern Säulen des Gesamtprojektes darstellen und immer wieder von verschiedenen Fachbereichen herangezogen sowie im Projektverlauf erweitert oder verdichtet werden. Eine gemeinsame und nachhaltige Sprache ist so möglich. In der Umsetzung von großen Webprojekten haben wir zudem Konzepte etabliert, die es uns ermöglichen, Webseitenoberflächen/UI als lebende Systeme zu entwickeln. Im Kern setzen wir dabei auf evolutionäre Prozesse, bei denen es das Ziel ist, schon in frühen Projektphasen auf das Endresultat einzuzahlen. Revolutionäre, simulierte oder allzu theoretische Phasen werden möglichst gezielt und sparsam eingesetzt.
Diese Arbeitsweisen führen bei den einzelnen Akteuren zu einer stärkeren Identifizierung mit dem Kunden und den Projektzielen. Bei einem stark arbeitsteiligen Vorgehen gestaltet sich dies deutlich schwieriger. Die Auswirkungen dieser Art der Zusammenarbeit sind weitreichend. Sie stellen Unternehmen vor neue Herausforderungen oder verstärken bereits bestehende.
Dort, wo relativ starre Prozesse bereits seit Jahren gepflegt werden, wo es feste Korrekturrunden statt eine andauernden Teilnahme und Verbesserung gibt, dort, wo es feste Kostenrahmen und starre Konzepte statt Reaktion auf Anforderungen und Möglichkeiten gibt: Dort ist manchmal viel Erklärungs- oder auch Überzeugungsarbeit nötig.
Neben den vielen hoch kommunikativen Aufgaben fehlen zudem manchmal die passenden Rollen auf Auftraggeberseite, zumal diese auch agil und eigenverantwortlich entscheiden können, ohne immer gleich “die große Runde drehen zu müssen”. Mehr Beteiligung ist hier nicht nur möglich, sondern auch gefragt.
Äußerst erfreulich bei gelungenen Projekten dieser Gangart ist, dass diese noch mehr zu gemeinsamen Projekten werden. Ganz klar entsteht hier aus einer einseitigen Dienstleistung eine gemeinsame Arbeit mit gegenseitigem Verständnis, gegenseitig getragener Verantwortung und Zielen. Die Realisierung von digitaler Kommunikation und digitalen Produkten kann derzeit nur in offenen und gemeinsamen Prozessen zu wirklichen Erfolgen werden.
Abschied vom Wasserfall
Die Beziehung, Ziele und Erfolge stehen dabei klar über Prozessen, Konzepten und Plänen. Der Abschied von klassischen Arbeitsweisen wie dem Wasserfall fällt einigen schwer. Dabei erwarten Kundenbeziehungen, die in einem agilen Miteinander geführt werden, am Ende bessere sowie schnellere Ergebnisse.
Bei der Erstellung des Artikels erhielt Thorben Fasching Unterstützung von Marius Bruns, Unit Director bei hmmh.